Q2-Studienfahrt in das Baltikum im Oktober 2017 (Tallinn – Riga)
Eintrag vom 25. Oktober 2017
„Wenn Jemand eine Reise thut, // So kann er was erzählen; // Drum nahm ich meinen Stock und Hut // Und thät das Reisen wählen.“ – so sprach der berühmte deutsche Dichter und Redakteur Matthias Claudius schon 1786 in seinem Gedicht „Urians Reise um die Welt“.
Ein paar hundert Jahre später nahmen 41 junge Leute der Q2 und zwei ihrer Lehrerinnen ihren Hut und begaben sich Mitte Oktober auf eine Studienreise in das Baltikum.
Viel gereist wurde tatsächlich, und uns kam es manchmal vor, als wäre der Weg das Ziel. Bus, Flugzeug, Fähre – die von uns vorrangig „erprobten“ Transportmittel zur Überbrückung der vielen hundert Kilometer bis zum ersten Ziel: Tallinn!
Morgens um 10 Uhr ging es aus den beengten Kabinen der Nachtfähre „Baltic Queen“ per pedes zum Hotel Euroopa in Tallinn, einem modernen, neuen 4-Sterne-Haus direkt am Hafen. 43 rollernde Hiller zogen ihre Koffer geräuschvoll hinter sich her. Estland, wir kommen! Es war nicht zu überhören!
Zufriedenheit machte sich bei allen breit als wir in der Empfangshalle standen, hatten wir doch nicht mit so viel Chic und Komfort gerechnet! Dem Upgrading sei Dank! Koffer verstauen, Pippi machen, Platznehmen im großzügigen Foyer, erste Nachrichten versenden und warten was noch kommt – so lautete die Devise der meisten jungen Leute aus Hille.
Unsere Stadtführerin erschien dann auch pünktlich, sprach hervorragendes Deutsch, und nach Einlagerung des Gepäcks konnte es losgehen. Wir waren alle hoch motiviert in Tallinn auf Entdeckungstour zu gehen. Doch leider wollte der Wettergott nicht mitspielen und beließ es den ganzen Tag bei trübem, dunklen Wetter mit Regenschauern, die uns während unserer dreistündigen Tour zu Fuß über unwägbares Kopfsteinpflaster und riesige Pfützen den Spaß schnell verdarben. Nass und frierend folgten wir unserer Reiseführerin durch das neugebaute Rotermann Viertel mit seinen modernen Glasfassaden in den unteren Teil der von der 1,9 km langen Stadtmauer eingefassten, historischen und fast vollständig renovierten Altstadt Tallinns, mit ihren vielen gotischen Türmen und barocken Bauten.
Während es unablässig auf uns hinab regnete, erfuhren wir viel über die Geschichte der 430 000 Menschen großen, kleinen Hauptstadt Estlands, die eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Innenstädte Europas voll romantischem Zauber bietet (seit 1997 Unesco Welterbe), doch hinter deren historischer Fassade sich eine wechselvolle Geschichte der Okkupation (dänischer, deutscher, schwedischer, russischer und sowjetischer Fremdherrschaft) vollzogen hat, bis sich 1991 durch die Unabhängigkeit Estlands ein mittlerweile junges, ehrgeiziges Tallinn auf der Überholspur entwickeln konnte.
Nach der „singenden Revolution“ flogen Hämmer, Sichel und Büsten auf den Müll, und Tallinn stürzte sich in die Zukunft, die sich unter anderem in einer ausgeprägten Restaurant-, Club- und avantgardistischen Kunstszene ausdrückt, erfuhren wir. Tatsächlich war das überall zu spüren, auch wenn es aufgrund des schlechten Wetters relativ ruhig im mittelalterlichen Stadtkern war. Aber vor und in den zahlreichen Läden, Restaurants und Museen flatterten Banner, brannten Feuer und Kerzen, glitzerten Kronleuchter und Kristallgläser, ertönte einladende Musik und duftete es aus den Türen und Fenstern nach Seifen und Mehlspeisen. Auf den nassen Dächern wurde gehämmert und gezimmert, in Stand gesetzt und geputzt. Wifi war überall kostenlos zu haben in der Stadt, in der ‘Skype‘ entwickelt wurde und die 2011 europäische Kulturhauptstadt war.
„Klick“, „klick“, gingen die Fotoapparate und Handykameras, denn die älteste Apotheke Europas am gotisch geprägten Rathausplatz ist immer noch in Betrieb und bot eine willkommene Abwechslung vom Regen. Wir besichtigten altertümliche Arzneien, Tinkturen, Gerätschaften und mumifizierte Körperteile und Tiere, die seit über 600 Jahren dort ihr Dasein fristeten. Seelenruhig bediente die PTA unterdessen ihre estnische Kundschaft. Wir sagten „Thank you“ und stellten uns wieder dem Regen vor der Tür.
Inzwischen regnete es so stark, dass wir schließlich im Estnischen Schifffahrtsmuseum in der „dicken Margarete“, einem Geschützturm aus dem 16. Jh., Zuflucht suchen mussten. Einige von uns kauften sich im Museumsshop Plastikmäntel zum Überziehen, andere nutzten die Gelegenheit um sich mit heißem Kaffee aufzuwärmen, bevor es am Gedenkplatz für die 852 Opfer der 1994 gesunkenen Ostseefähre “Estonia“ weiter zur Oberstadt gehen sollte.
Wir kraxelten die zahlreichen glitschigen Stufen zum Domberg hinauf und genossen den Blick von oben auf die Altstadt, die Neustadt, den Hafen und, verschwommen im Hintergrund, auf die Tallinner Bucht, als ein Blitz den tiefgrauen Himmel durchzuckte und sich die Wolken erneut öffneten und uns der Regen förmlich verschluckte.
Ziemlich entnervt und durchnässt gingen wir geduckt zum schönen rosafarbenen estnischen Parlament, das gegenüber der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Kathedrale steht und an dem Tag so gar nicht strahlen wollte. Kaum einer hörte unserer Fremdenführerin noch zu. Wir waren nur dankbar, dass wir die Zwiebelturm-Kathedrale endlich auch von innen sehen durften. Die armen Angestellten mussten anschließend hinter uns herwischen, so viele Pfützen hatten wir in dem düsteren Gotteshaus hinterlassen.
Schließlich brachte uns unsere Tallinn-Expertin in die Neustadt zurück, zeigte uns im Solero-Einkaufszentrum günstige Etablissements um zu speisen und wies uns den Weg am modernen Viru-Einkaufszentrum vorbei zurück zum Hotel, den die meisten von uns dankbar und schleunigst antraten. Erst abends, und nach einer entsprechenden Phase des Trocknens, zogen wir alle wieder hinaus in die Stadt, um zu essen oder sonstigen Vergnügungen nachzugehen. Ein Foto in die WhatsApp-Gruppe, wer mit wem, wohin und wann zurück … und die Sache war geritzt. Das war unser erster Tag im Baltikum: verregnet, durchnässt, mittelalterlich, imposant!
Nach einem ausgiebigen und üppigen Frühstück in äußerst gepflegter Atmosphäre wurde am nächsten Tag wieder ausgecheckt, um um 10 Uhr den Bustransfer nach Riga anzutreten. Ivan, unser sehr netter russischer Busfahrer, verstand nur ein paar Brocken Deutsch und gar kein Englisch, war aber der festen Überzeugung, dass wir seine Reisegruppe waren. Am Bus stand zwar die richtige Reiseagentur angeschlagen, aber die ausgewiesene Reisegruppe war definitiv eine andere. Egal, nicht lange diskutieren, da es schon wieder regnete, entschlossen wir uns die Reisegruppe „Ackermann / Prestel“ aus Herford zu sein und nicht mehr länger die Reisegruppe „Dammann“ aus Hille. Hauptsache halbwegs trocken das Gepäck einladen und losfahren, dachten wir. Die Richtung stimmte ja schließlich!
Ivan fuhr uns dann nach Turaida im Gauja-Nationalpark, weil wir dort angeblich eine Besichtigung der Burg gebucht hatten. Hatten wir nicht, aber wir besichtigten sie trotzdem. Es tat gut, sich mal die Beine zu vertreten. Es gab sogar zwei bis drei Menschen unter uns, die die Burgruine recht interessant fanden, obwohl ich gestehen muss, dass ich schon -zig besser restaurierte und didaktisch vielsagender aufbereitete Burgruinen gesehen habe. Aber vielleicht lag es auch daran, dass das so gar nicht unser Programm war und es immer noch regnete …
Unterwegs wurden wir Zeuge der nach wie vor stark sowjetisch geprägten Vergangenheit des Baltikums. Die Raststätten inklusive des Speisenangebots hatten diesen unverkennbaren post-sowjetischen „Charakter“. Ich, die ich die hässliche Seite der DDR noch erlebt habe auf meinen Reisen nach West-Berlin, fühlte mich an eben jene stark erinnert. Hier hatte der „neue Wind“ noch nicht durchgeweht. Es roch sogar muffig! In Riga sollte uns das noch viel deutlicher werden, aber davon später. Wir wurden auch Zeuge der Angst der Esten und Letten vor einer möglichen Invasion russischer Truppen. Zahlreiche militärische Konvois, auch unter Nato-Flagge, begegneten uns an der Grenze zu Lettland.
Schließlich erreichten wir am späten Nachmittag unseren Zielort: TOMO-Hotel in Riga! Vorstadt! 3,5 Kilometer bis zum Zentrum! Plötzlich waren wir zurück in der Realität der Klassenfahrten: abgelegene und heruntergekommene, dunkle Unterkünfte, miefige Luft, rundgeputzte Ecken, Kondomverpackungen unter dem Bett …
Ach, wie schön war’s … in Tallinn (nicht „Panama“)! Vier Sterne und das Gefühl im Urlaub zu sein, trotz des Dauerregens. Hier, im TOMO-Hotel, drei Sterne (Wie viel dafür wohl gezahlt wurde? Oder war das etwa der Umschlagsort für die Geldwäsche der russischen Mafia?) und das Gefühl Opfer eines schlechten Witzes, eines Irrtums zu sein. Selbst die für das Trump-Zeitalter frech gefakten Bilder der hübsch mit Photoshop aufgemotzten Zimmer liefen in Dauerschleife über den Monitor im Foyer. Das Foyer selbst glich einer schlecht geputzten, dunklen und miefigen Bahnhofshalle der deutschen Bahn im Nirgendwo. Oh weh! Wir alle hatten Mühe zuversichtlich zu schauen!
Entsprechend sahen die Flure und „Buden“ aus. Manche echt zum Weglaufen, andere gingen so. Vielleicht wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn nicht auch noch busseweise männliche Handball- und Hockeymannschaften angereist wären, die halbbekleidet und unseren Mädchen hinterher pfeifend die elendig langen Flure bevölkerten, an denen wir auch unsere „Buden“ hatten. Der Geruch von Schweiß und medizinischen Tinkturen für die Massagen der Sportler mischte sich mit dem Mief der alten, dreckigen Teppiche. Gegenüber eines der Jungenzimmer wohnte definitiv eine Messie-Frau mit ausgemergelten Katzen, die die Tür zu ihrer Müllhalde nicht geschlossen ließ. Unbehagen machte sich breit. Unsere Beschwerden brachten zumindest kurzfristig Ruhe in die Flure, da der grimmig schauende Hausmeister auch gleichzeitig die Security spielte. Die Messie-Frau hielt ihre Tür nun geschlossen.
Schnell die „Bude“ wieder verlassen, hieß es jetzt nur noch. Also fragten wir uns an der Rezeption durch und erfuhren, dass wir mit den an Oberleitungen geführten Bussen bequem in die Stadt würden fahren können. Am Kiosk unserer Haltestelle sollte ich die Tickets lösen für Hin- und Rückfahrt. Gesagt, und fast getan.
Auf Nachfrage sagte die nette Frau hinter dem Tresen des Kiosks, dass sie eigentlich kein Englisch spreche. „Learning“, antwortete sie. OK, das fand ich toll, half mir aber nichts, da ich 43 Bustickets brauchte. Aber wie so oft, rettete mich eine junge Lettin, zufällig auch Lehrerin. Sie sprach perfektes Englisch und übersetzte mein Anliegen ins Lettische. Während die Kioskdame versuchte, ihrer Ticketmaschine 43 „return-tickets“, sogenannte E-Talons, zu entlocken, unterhielt ich mich mit der jungen Kollegin, deren Stelle demnächst redundant gemacht werden würde. Sie hatte Hauswirtschaft studiert, aber das wäre in Lettland nicht mehr so gefragt, sagte sie. Ich bot ihr an, nach Hille zu ziehen, aber sie wollte nicht weg aus Riga, obwohl sie bei uns bestimmt einen Job hätte haben können als Hauswirtschaftslehrerin. Im Nachhinein habe ich verstanden, was sie in Riga hält …
Unterdessen wurde die Schlange am Kiosk immer länger. Und es stellte sich heraus, dass die Kioskdame auch noch falsch gerechnet hatte. Trotzdem wurde keiner unwillig. Alle warteten brav und gesittet, bis sie an der Reihe waren. Viele wollten sogar helfen. Ich verstand zwar nichts, aber das war nun auch egal. In Deutschland hätte bestimmt schon jemand gemeckert, doch hier blieb das aus. Wie sympathisch! Typisch lettisch, sagte mir später die Fremdenführerin.
Mit dem Bus fuhren wir in die Innenstadt um erste Eindrücke zu sammeln und wenigstens einmal am Tag Essen zu gehen. Der Anblick Rigas, die vielen kleinen erleuchteten Bars und Restaurants, die hübschen Gassen und Straßen und die ungeahnten Möglichkeiten lecker und preiswert zu schmausen, entschädigten uns für die miese Unterkunft und ließen uns freudig auf den kommenden Tag blicken, an dem wir Riga bei Tageslicht entdecken würden können.
Das Frühstück am nächsten Morgen bestätigte alle negativen Eindrücke und Vorurteile des vorangegangenen Ankunftstages. Trotz Anmeldung unserer Gruppe für das 8:30 Uhr Frühstückszeitfenster, gingen auch die Sportler zum Frühstück, drängelten sich in der langen Schlange sogar vor und besetzten alle Sitzplätze in dem fensterlosen Raum. Es gab gerade mal wieder kein Brot oder die Marmelade war aus, der Kaffee schmeckte wie braun gefärbtes Abwaschwasser und der O-Saft spottete jeder Beschreibung. Weitere Details möchte keiner wissen!
Froh, endlich auschecken zu können, packten wir unsere Koffer in das Foyer, sammelten die Keycards für die Türen ein und verließen dieses schreckliche Hotel gruß- und wortlos. Draußen wartete Ivan der Freundliche am Bus, mittlerweile mit dem richtigen Schild und der korrekten Bezeichnung für unsere Reisegruppe, und die Fremdenführerin mit Hut war auch schon da. Wir waren nur froh, endlich dort wegzukommen. Kaum einer bemerkte, dass wir wunderschönes Wetter hatten. Selbst die Sonne lächelte ab und zu.
Unsere Reiseführerin für Riga entpuppte sich als wahrer Glücksgriff. Abgesehen von ihrem perfekten, akzentfreien Deutsch, verfügte sie über umfangreiches historisches und politisches Wissen, das weit über ihre eigenen Landesgrenzen hinausging. Später stellte sich heraus, dass sie neben ihrem Germanistikstudium ein paar Jahre für die ARD als Korrespondentin für das Baltikum gearbeitet hatte.
Sie sprach mit Ivan eine kurze Reiseroute ab, so dass wir auch Rigas Moskauer Vorstadt vom Bus aus sehen konnten, in der heute nicht nur Russen leben, sondern auch junge Letten. Die typischen russischen Holzhäuser, die größtenteils verfallen, werden von der Stadt kostenlos angeboten, wenn sich der neue Eigentümer verpflichtet, diese Häuser wieder historisch getreu in Stand zu setzen und zu benutzen. Viele junge und handwerklich begabte Leute haben dieses Angebot inzwischen wahrgenommen, so dass sich aus dem „Russenviertel“ in Teilen eine gemischte Hip-Szene entwickelt. Nichtsdestotrotz ist die Armut wie auch die Kriminalität hier noch sehr hoch.
Unsere Fremdenführerin sprach in diesem Zusammenhang immer von der „guten, alten, schlechten Sowjetzeit“ um deutlich zu machen, dass nicht alles schlecht war, als Lettland noch von der Sowjetunion besetzt war. Inzwischen gäbe es drei Generationen, die unterschiedlich mit Rigas Geschichte umgingen: die alten Letten, die unter der sowjetischen Okkupation gelitten haben und die die „Russen“ am liebsten loswerden würden; die mittlere Generation, die auf langsame Annäherung setzt und die junge Generation, die sich bereits vermischt und sogar untereinander heiratet.
Sie empfahl uns die tief berührenden Erinnerungen von Valentina Freimane in „Adieu, Atlantis“ zu lesen, wenn wir mehr über die Geschichte Lettlands und Europas, die Okkupation durch die Sowjets und die Deutschen, das Rigaer Ghetto und die Ermordung zigtausender Juden, den Verlust von Familie und Heimat und den ungebrochenen Glauben einer Kosmopolitin an die Freiheit wissen wollten.
Auch der Besuch im Okkupationsmuseum, dem sogenannten „schwarzen Sarg“ aus der Stalin-Ära am Platz der Lettischen Schützen, hätte sich angeboten, würde es nicht von Grund auf renoviert. Empfehlenswert sei auch das Museum der Barrikaden des Jahres 1991 in einer kleinen Seitenstraße beim Dom, das die Zeit dokumentiert, als sich der Konflikt zwischen der lettischen Unabhängigkeitsbewegung und den sowjetischen Truppen auf dramatische Weise zuspitzte. Unsere Fremdenführerin berichtete von den vielen Teekannen, die sie den Leuten brachte, die vor den Barrikaden Tag und Nacht ausharrten.
Unsere erste Station waren schließlich die berühmten Jugendstilhäuser in der Elizabetes und der Alberta Straße (Alberta iela). Rund ein Drittel aller Häuser in Riga sind in diesem pompösen Jugendstil / mit überbordenden Art-Deco-Fassaden aus Masken-, Tier-, und Pflanzenmotiven versehen. Insbesondere Michael Eisenstein (1867-1921), Vater des großen sowjetischen Filmregisseurs Sergej Eisenstein, konnte sich in diesen beiden Straßen „austoben“.
Erst der lettische Architekt Konstantins Peksens vollzog 1903 den Bruch mit dem Historismus und setzte Ornamente wesentlich reduzierter ein (auch: Rückgriff auf volkstümliche Ornamentik und traditionelle ländliche Baustile). Unsere Fremdenführerin sprach in diesem Zusammenhang davon, dass die Letten sehr viel dezenter bauten, „eben typisch lettisch“. Peksens Treppenhaus in Nr. 12 wurde liebevoll restauriert.
Nach dem Ausflug in die ‘Belle Epoque‘ der Neustadt fuhren wir mit dem Bus an der Daugava (deutsch: die Düna) entlang und erhaschten wundervolle Blicke auf die 2014 eröffnete neue Lettische Nationalbibliothek, dem Berg aus Glas, und den im Sonnenschein schillernden Fluss.
Unseren Spaziergang durch die Altstadt begannen wir eigentlich in der Neustadt, nämlich an der Nationaloper am Stadtkanal, die sowohl für wenig Geld bereits Kinder in die Oper lockt als auch Oper- und Ballettaufführungen von Weltklasse zeigt. Unsere Fremdenführerin erzählte uns, dass hier u.a. die lettische Star-Mezzosopranistin Elīna Garanča groß wurde, die in ihrer Autobiographie „Wirklich wichtig sind die Schuhe“ von ihrem Leben zwischen den Welten eindrucksvoll berichtet.
Weiter ging es zum 42 m hohen Freiheitsdenkmal, das Symbol der Unabhängigkeit Lettlands, dessen Kupferstatue, liebevoll “Milda“ genannt, sowohl die alten lettischen Münzen als auch die neuen Euro-Münzen krönt. Die Letten, die sehr unter der Weltwirtschaftskrise 2008 gelitten haben, trugen und tragen die Münzen mit Milda stolz in ihrer Tasche. Sie sagen über sich selbst, dass sie nur wenig Geld besitzen, aber das Geld das sie besitzen sei wenigstens schön!
An der Laima-Uhr (Laima = größter Schokoladenhersteller des Baltikums) vorbei sahen wir den letzten erhaltenen Wehrturm der Stadt, den Pulverturm, passierten die große Gilde am Livenplatz bevor wir in der Raina Vagnera vor dem Wagner-Haus / Konzertsaal stehen blieben um zu erfahren, dass sowohl Richard Wagner als auch Clara Wieck-Schumann Riga gehasst hatten. Trotzdem lebten und arbeiteten sie hier, wie viele andere berühmte Komponisten des 19. Jhs. Als Wagner seine Stellung in Riga verlor, floh er überschuldet mit seiner Frau nach London. Die raue Überfahrt soll ihn zum „Fliegenden Holländer“ inspiriert haben. Ein Urenkel Wagners versucht mittlerweile Gelder aufzutreiben, um das heruntergekommene Haus vor dem Verfall zu retten.
Am Konventhof vorbei, in dem 1204 die Schwertbrüder ihre erste Ordensburg errichteten, begaben wir uns zur Petri- und Johanniskirche, zwischen denen die Bremer Stadtmusikanten thronen und durch den stilisierten „Eisernen Vorhang“ gen Westen schauen, während die Matroschkaverkäufer auf Touristendeals hoffen. Ob die sich die Öffnung zum Westen so vorgestellt hatten?
Von unserer Fremdenführerin erfuhren wir, dass die Johanniskirche zu den ältesten Kirchen Rigas zählt und um 1234 erbaut wurde, aber im 15. Jh. während der Kämpfe mit dem deutschen Schwertbrüderorden zerstört wurde. Erst im 16. Jh. entstand der heutige spätgotische Backsteinbau mit Stufengiebel.
Die Petrikirche selbst, ebenfalls ein eindrucksvolles Beispiel der baltischen Backsteingotik, wird heute nur noch als Ausstellungs- und Konzerthaus genutzt, nachdem sie 1297 auch als Waffendepot der Rigaer Bürger im Kampf gegen die Schwertbrüder diente. Man kann sogar mit dem Lift auf die Aussichtsplattform im Turm fahren, dessen Original aber 1941 den Flammen der deutschen Artillerie zum Opfer fiel und erst zwischen 1967 und 1984 rekonstruiert wurde.
Rund um die Jakobskirche tagt das lettische Parlament mit seinen 100 Abgeordneten im florentinischen Renaissancepalast und dort hat auch der lettische Präsident seinen Amtssitz.
Auf der anderen Seite findet man die „Drei Brüder“ (die drei Schwestern stehen in Tallinn), drei Häuser nebeneinander, die zu unterschiedlichen Zeiten gebaut wurden, nämlich das Rechte im 15 Jh., das in der Mitte um 1646, und das Linke mit dem Barockgiebel am Ende des 17. Jh.
Kurz vor Schluss unserer dreistündigen Stadtführung besichtigten wir noch den evangelisch-lutherischen Dom, hörten von der beeindruckenden Musik aus den 6718 Pfeifen der in Deutschland gefertigten Walcker-Orgel und wurden eingeladen im nächsten Jahr das 100. Unabhängigkeitsjahr Lettlands mitzu-feiern.
Das wäre doch mal ‘ne Partylocation?
Bestens gelaunt verabschiedete sich unsere professionelle Begleitung am Rathausplatz vor den rekonstruierten aber noch verhüllten Schwarzhäupterhäusern im Stil der holländisch-flämischen Zunfthäuser. Die Räumlichkeiten dienen seit 2012 der Kanzlei des Präsidenten Lettlands und können nicht mehr besichtigt werden. Wir nahmen am Rolandstandbild Platz und ruhten uns kurz aus, bevor es auf eigene Faust noch einmal durch Riga ging!
Leider mussten wir uns am Nachmittag schon wieder aus Riga verabschieden! Viele von uns haben sich vorgenommen, noch einmal wieder zu kommen. Das Baltikum ist definitiv eine Reise wert!
Aber ob man die Fährfahrten braucht, das ist mehr als fraglich! Über die vielen sturztrunkenen, minderjährigen Schülerinnen und Schüler auf der M/S Romantika, unserer Fähre die uns von Riga nach Stockholm brachte, waren sogar unsere Q2-ler entsetzt! Schlagartig war der Zauber des Baltikums erstickt von Alkoholfahnen und knapp bekleideten, grölenden Menschen in den Gängen zu unseren Kabinen. Lob an unsere Schülerinnen und Schüler, die sich nicht haben anstecken lassen!
Autorin: C. Dammann
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